Anhand einzelner Fallbeispiele soll verdeutlicht werden, welche typischen Krankheitsaspekte bei den Fragen der Berentung eine wichtige Rolle spielen. Bei den ausgewählten Fallkonstellationen geht es sowohl um bewilligte als auch um abgelehnte Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Fallbeispiel 1: Arbeitsunfähigkeit wegen Erschöpfung und Tinnitus
54-jährige Versicherte, arbeitsunfähig wegen Erschöpfung und Tinnitus
Arbeitsanamnese:
Ausbildung als Facharbeiterin (Bürotätigkeit). Verschiedene Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Sekretärin, Einzelhandel, Krankenhaus, keine Zeiten der Arbeitslosigkeit).
Ambulante Behandlung:
Hausarzt, HNO-Facharzt, psychologische Psychotherapeutin.
Medizinische Reha
Leichte depressive Episode, Somatisierungsstörung, Tinnitus, Hypertonie, Burnout.
Entlassung mit über 6-stündigem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Nach der Reha ambulante Psychotherapie eingeleitet.
Nervenärztliche Begutachtung (nach der Reha):
Diagnosen:
- Geistige und psychische Minderbelastbarkeit bei mittelgradig ausgeprägter depressiver Episode bei wiederkehrender depressiver Störung. F33.11
- Tinnitus beidseits mit Hochtonschwerhörigkeit. H93.1
- Bluthochdruck, medikamentös behandelt. I10.0
Leistungsvermögen:
Mittelschwere Arbeiten, mehr als 6 Stunden in Tages-, Früh- und Spätschicht, ohne Nachtschicht.
Verwaltungsentscheidung:
Ablehnung des Rentenantrags.
Fallbeispiel 2: Antrag auf Weiterzahlung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung
Über 30 Jahre Vollzeittätigkeit als Serviererin, danach Aushilfe als Verkäuferin auf Geringfügigkeitsbasis, ergänzend Arbeitslosengeld
Vorgutachten (Diagnosen):
- Wiederkehrende depressive Störung, anhaltend schwer ausgeprägt
- Agoraphobie mit Panikstörung
- Nacken-Schulter-Armbeschwerden beidseits bei Verschleißveränderungen und Versteifungsoperation eines Bandscheibenvorfalls C6/7 und Verdacht auf psychische Beschwerdeüberlagerung
Leistungsvermögen: Unter 3 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
Zwischenanamnese:
Operative Behandlung eines Gallenblasenkarzinoms 2018 (PT2pN0), kurative Behandlung, kein Anhalt für ein Rezidiv.
Keine stationäre oder tagesklinische psychiatrische Behandlung, keine ambulante nervenärztliche oder psychotherapeutische Behandlung.
Psychiatrisches Gutachten 2019
Diagnosen:
- Deutliche seelische Minderbelastbarkeit bei wiederkehrender depressiver Störung, anhaltende mittelschwere bis schwere Episode. F33.2
- Reduzierte Belastbarkeit und Einschränkung des Aktionsradius bei Angststörung (Agoraphobie)
- Anhaltende Nacken-Schulter-Armbeschwerden beidseits und vom Nacken ausstrahlende Kopfschmerzen bei Verschleißveränderungen und Versteifungsoperation eines Bandscheibenvorfalls
- Zustand nach Operation eines Gallenblasenkarzinoms ohne Anhalt für ein Rezidiv
Leistungsvermögen:
- Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin nur unter 3 Stunden täglich leistungsfähig.
- Medizinische Rehabilitation wegen fehlender Erfolgsaussichten nicht indiziert
- Besserung aus psychiatrischer Sicht und bei Aufnahme ambulanter fachärztlicher psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung trotz des chronischen Verlaufs noch möglich
Verwaltungsentscheidung:
Weiterzahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, befristet für 3 Jahre